Digitale Festschrift 50 Jahre isa – Die Änderungen im AIG und was sie bewirken

Unter welchem Gesetz und Status auch immer: Ausländerinnen und Ausländer müssen in der Schweiz eine «gute Integration» nachweisen, um ihre aufenthaltsrechtliche Position zu halten oder zu verbessern. Das gilt insbesondere auch für Personen, die dem neuen Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) unterstehen. Ein Blick auf die neuen Integrationskriterien und ihre Bedeutung. Autorin: Francesca Chukwunyere, ehem. Geschäftsleiterin der isa, 2021

Seit dem 1. Januar 2019 ist das neue Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) in Kraft welches den Aufenthalt von Personen aus sogenannten Drittstaaten regelt. Der Aufenthalt von Personen aus EU/EFTA-Staaten wird durch das Freizügigkeitsabkommen (FAZ) geregelt. Die Aufenthaltsbedingungen von Menschen, welche in der Schweiz Asyl suchen, werden durch das Asylgesetz (AsylG) bestimmt. Personen aus demselben Herkunftsland können deshalb, je nachdem über welchen Weg sie in die Schweiz gelangt sind (Familiennachzug, Arbeitskontingente, usw. oder Asylgesuch), dem Asyl- oder dem Ausländergesetz unterstehen. Die Aufmerksamkeit der Medien fokussiert oft auf Flüchtlinge und Asylsuchende. Aufgrund dieser, in Anbetracht der numerischen Verhältnisse unproportionalen Berichterstattung, entsteht in der Bevölkerung eine verzerrte Wahrnehmung in Bezug auf Aufenthaltsgründe und -bedingungen der ausländischen Bevölkerung. 

Unterschiedliche Konditionen – gleiche Logik

Jeder Aufenthaltsstatus beinhaltet andere Konditionen, was beispielsweise das Recht auf Familiennachzug, auf Reisefreiheit oder auf Sozialhilfeunterstützung anbelangt. Die Rahmenbedingungen, welche es zu erfüllen gilt, um zu einem «besseren» Aufenthaltsstatus zu gelangen, unterliegen jedoch derselben Logik. Es gilt in jedem Fall eine «gute Integration» nachzuweisen. Diese wird gemäss dem neuen AIG anhand der folgenden vier Kriterien gemessen: 

  • Die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
  • Die Respektierung der Werte der Bundesverfassung
  • Die Sprachkompetenzen
  • Die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung

Integration als Hürdenlauf

Speziell die Präzisierungen in den zwei letzten Kriterien haben in der Praxis grosse Auswirkungen auf den Alltag der ausländischen Bevölkerung. So genügt es heute nicht mehr, einen Sprachkurs besucht zu haben und sich dies bescheinigen zu lassen. Verlangt wird nun, dass ein bestimmtes Niveau erreicht und dies durch einen Test belegt wird – wobei je nach Aufenthaltsstatus ein anderes Sprachniveau vorausgesetzt wird. Das höchste Sprachniveau braucht es, wenn man den Schweizer Pass erhalten will. So ist die Zahl der Personen, welche sich ein bestimmtes Sprachniveau mittels Tests bestätigen lassen wollen und müssen, in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft angestiegen. Darunter befinden sich Menschen, welche seit Jahren in der Schweiz leben und arbeiten, beispielsweise Bauarbeiter aus Portugal oder Angestellte in der Restaurationsbranche. Insbesondere für Geflüchtete, welche traumatisiert sind, aber auch für Menschen, welche in einem anderen Alphabet lesen und schreiben gelernt haben oder für Menschen, die ganz allgemein über eine geringe Schulbildung verfügen, stellt diese neue Anforderung eine besondere Hürde dar.

Erweiterung der Voraussetzungen

Von noch grösserer Bedeutung ist die vermeintlich kleine Änderung im letzten Kriterium, der Teilnahme am Wirtschaftsleben. So hatte es unter dem alten Ausländergesetz (AUG) noch gereicht, den Willen zur Teilnahme zu bekunden und dies beispielsweise durch Arbeitsbemühungen zu belegen. Heute braucht es die faktische Teilnahme am Wirtschaftsleben, das heisst konkret: es wird verlangt, dass ein Arbeitsvertrag vorliegt. Reicht das erzielte Einkommen nicht, um sich – und allenfalls abhängige Familienmitglieder – selbstständig durchzubringen und ist die Person, resp. die Familie deshalb auf Sozialhilfe angewiesen, hat Schulden, etc., gilt dieses Kriterium als nicht erfüllt.

Als Sozialhilfebezug können neu auch der Bezug von Ergänzungsleistungen, der Bezug von vergünstigten/subventionierten Plätzen in Kinderbetreuungsstätten oder die Teilhabe an vergünstigten Krankenkassenprämien infolge geringen Familieneinkommens gewertet werden. Für die Verlängerung von Aufenthaltsbewilligungen stützen sich die Migrationsbehörden auf Informationen anderer staatlicher Behörden, welche zu diesen Meldungen verpflichtet sind. 

Bereits unter dem alten Gesetz mussten folgende Fakten gemeldet werden: 

  • Eröffnung von Strafuntersuchungen
  • Zivil- und strafrechtliche Urteile
  • Änderungen im Zusammenhang mit dem Zivilstand
  • Bezug von Sozialhilfe

Neu müssen auch rapportiert werden:

  • Der Bezug von Arbeitslosenentschädigungen
  • Der Bezug von jährlichen Ergänzungsleistungen (AHV/IV Stellen)
  • Disziplinarmassnahmen von Schulbehörden
  • Massnahmen der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden
  • andere Entscheide, die auf einen besonderen Integrationsbedarf hindeuten.

Risiko der Rückstufung von Aufenthaltsbewilligungen

Zudem können die Migrationsämter eine Rückstufung der Aufenthaltsbewilligung verfügen, wenn die Integrationskriterien nicht erreicht werden. Menschen mit einer C-Aufenthaltsbewilligung (Niederlassungsbewilligung) können so auf eine Jahresaufenthaltsbewilligung B zurückgestuft werden. Dies unabhängig von ihrer bisherigen Aufenthaltsdauer in der Schweiz. Um eine Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) oder einen Schweizer Pass zu erlangen, muss zudem eine während der letzten zehn Jahre bezogene Sozialhilfeunterstützung zurückbezahlt worden sein.

In der Praxis bewirkt dies, dass Ausländerinnen und Ausländer im Bedarfsfall nicht mehr um Sozialhilfe anfragen und, sobald sie beispielsweise wegen Corona unverschuldet ihren Arbeitsplatz verlieren, zugleich um ihren Aufenthalt in der Schweiz bangen müssen. Auch andere Behördenkontakte werden aufgrund der erwähnten Meldepflichten gemieden. 

Da es bis dato noch sehr wenige vor Gericht entschiedene Einsprachen gegen ausländerrechtliche Verfahren unter dem neuen AIG gibt, herrscht zudem eine gewisse Rechtsunsicherheit. Die neue Gesetzgebung wird von Kanton zu Kanton anders ausgelegt und der Ermessensspielraum der Behörden ist gross.