Digitale Festschrift 50 Jahre isa – Entwicklung des Migrationsrechts in der Schweiz

Die Geschichte von Arbeitsmarktmigration, Integration, Asylgesetz und Einbürgerung. Autorin: Stefanie Kurt, Vorstand isa

Der vorliegende Text gibt die Ansichten der Autorin wieder. Die Ansichten binden weder die isa noch anderweitige Institutionen.

Die Zuwanderungs- und Aufenthaltssteuerung von ausländischen Personen in der Schweiz hat seit den 1980er Jahren einige rechtliche Änderungen erfahren. So veränderte sich nicht nur die Zulassungspolitik im Bereich des Arbeitsmarktes, sondern auch das Asylgesetz und das Bürgerrecht wurden mehrfach revidiert. In jüngster Zeit ist zudem die Integration in den Fokus der migrationsrechtlichen Grundlagen gerückt. Der nachfolgende Beitrag zeichnet rudimentär die Entwicklungen auf, wobei einige Lücken bestehen. Er schliesst mit einer kurzen kritischen Würdigung.

«Denn der Umbruch in Ost- und Mitteleuropa wird auch unser Land beeinflussen. Zudem steht der europäische Binnenmarkt vor der Tür. Seinen Herausforderungen müssen wir uns stellen. Die Schweiz kann einen Beitrag leisten beim Aufbau neuer europäischer Strukturen. Ein neues Europa wird vor allem dann segensreich sein, wenn es vom Geist des Föderalismus und der Gleichheit der Rechte und Pflichten geprägt ist. Gerade Kleinstaaten wie wir können nicht genug darauf verweisen. Der Bundesrat führt die gegenwärtigen Verhandlungen mit der EG denn auch genau in diesem Sinne.»
Arnold Koller, Ansprache des Bundespräsidenten zum Nationalfeiertag 1. August 1990.

In den 1980er Jahren wurde es zunehmend schwieriger, die Einwanderungs- von der Asylpolitik abzugrenzen. Kriegerische Auseinandersetzungen, die Globalisierung und das wirtschaftliche und soziale Gefälle zwischen den Nationalstaaten führten zu einer Zunahme der Migrationsströme. Darunter fielen auch Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen ein Asylgesuch stellten, um damit (auch) die strengen Einwanderungsbestimmungen zu umgehen. Auch die Schweiz änderte in dieser dynamischen Zeit mehrfach die migrationsrechtlichen Grundlagen, geprägt durch emotionale und gesellschaftlich aufgeladene politische Debatten, die bis heute andauern.

Arbeitsmarktzuwanderung: Vom «Drei-Kreise-Modell» zum «Zwei-Kreise-Modell»

Am 6. Dezember 1992 lehnte eine hauchdünne Mehrheit der stimmberechtigten Personen in der Schweiz den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Die Ablehnung des EWR-Beitritts bedeutete für die Schweiz, ihr Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft zu definieren. Im Oktober 1998 teilte der Bundesrat mit, dass das «Drei-Kreise-Modell» zur Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte durch das «Zwei-Kreise-Modell» abgelöst wird. Das «Drei-Kreise-Modell», in Kraft zwischen 1991 und 1997, teilte die Zulassung von ausländischen Arbeitskräften in sog. Kreise ein. Zum inneren, respektive 1. Kreis wurden die EU- und EFTA-Staaten (Europäische Freihandels- assoziation – Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz) gezählt, der mittlere oder 2. Kreis umfasste die USA, Kanada und die osteuropäischen Staaten (durch Kontingente geregelt) und zum äusseren oder 3. Kreis zählten die restlichen Staaten (nur in Ausnahmefällen eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung). Die Unterscheidung zwischen dem 2. und 3. Kreis wurde kulturell begründet und mehrfach als diskriminierend und rassistisch bezeichnet. Mit dem Ausbruch der Balkankriege wurden die Staaten des ehemaligen Jugoslawien dem 3. Kreis zugeordnet.

1999 schloss die Schweiz mit der EU die bilateralen Verträge ab, darunter die Personenfreizügigkeit. In der Schweiz nahmen die Stimmberechtigten diese im Jahr 2000 an, und die bilateralen Verträge traten am 1. Juni 2002 in Kraft. Fortan gehörten nicht nur Personen mit Schweizer Pass, sondern auch Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten und Staatsangehörige der EFTA zum 1. Kreis. Dieser Personenkreis hat das Recht, den Arbeitsplatz und den Aufenthaltsort innerhalb der Vertrags- staaten frei zu wählen. Der zweite Kreis umfasst somit sog. Drittstaatsangehörige, also Staats- angehörige von ausserhalb der EU-Staaten. Im Zuge der Einführung des Zwei-Kreise-Modells wurde auch das Saisonnierstatut abgeschafft.

«Das neue Ausländergesetz ist notwendig, damit die Schweiz die erforderlichen Arbeits- kräfte erhält, ohne dass Arbeitslosigkeit entsteht und die Sozialwerke in einer Art und Weise belastet werden, die wir nicht mehr verantworten können.»
Christoph Blocher, als Bundesrat Neues Ausländer­ und Asylgesetz, September 2006

Die Änderungen im Bereich der Arbeitsmarktzulassungen bedingten auch die Anpassung der migrationsrechtlichen Grundlagen. Nach zähen politischen Debatten hiessen die stimmberechtigten Personen in der Schweiz in einer Referendumsabstimmung das neue Ausländergesetz mit 68% Ja-Stimmen im September 2006 gut. Das Ausländer:innen-Gesetz (AuG; aktuell AIG) trat am 1. Januar 2008 in Kraft und löste das Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) ab. Das AUG enthält drei wichtige Neuerungen im Bereich der (Arbeits)marktzulassung, der Integration und der Glaubwürdigkeit der Ausländerpolitik respektive des «Missbrauchs» der ausländerrechtlichen Regelungen.

Im Bereich der Arbeitsmarktzulassung besteht seit 2002 zwischen der EU und den EFTA-Staaten der freie Personenverkehr. Der Zugang für Nicht-EU-Staatsangehörige (sog. Drittstaatsangehörige) wurde beschränkt, lediglich gut qualifizierte oder spezialisierte Arbeitskräfte werden auf den schweizerischen Arbeitsmarkt zugelassen. Schliesslich ist die jährliche Zahl der Zulassungen be- grenzt (sog. Kontingente). Zudem muss nachgewiesen werden, dass kein:e Schweizer:in oder Staatsangehörige:r der EU/EFTA für die Arbeitsstelle gefunden werden konnte. Die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Schweiz sind dabei einzuhalten. Bevor eine entsprechende Bewilligung erteilt wird, überprüft dies die zuständige Behörde.

Gleichzeitig sollen sich ausländische Personen stärker um ihre Integration in der Schweiz bemühen. So können Behörden die Aufenthaltsbewilligung mit einer Bedingung verknüpfen, beispielsweise den Besuch eines Sprach- oder Integrationskurses. Auch im Bereich des Familiennachzugs müssen die Eltern ihre ausländischen Kinder innerhalb von fünf Jahren nach der Einreise nachziehen, ab dem 12. Altersjahr sogar innerhalb eines Jahres. Beides soll eine frühe Einschulung der Kinder fördern. Nur in Ausnahmefällen ist ein späterer Nachzug möglich.

Zusätzlich erhalten die zuständigen Behörden neue rechtliche Instrumente, damit die Zulassungs- beschränkungen eingehalten werden. So ist neu eine Täuschung der Behörden strafbar, wenn beispielsweise eine ausländische Person willentlich falsche Angaben bei einem Gesuch für eine Aufenthaltsbewilligung macht. Für Schlepper:innen oder bei Schwarzarbeit (Arbeitstätigkeit ohne Arbeitsbewilligung) werden die Strafen erhöht. Die Heirat kann verweigert werden, wenn offen- sichtlich eine Ehe nur wegen der damit verbundenen Aufenthaltsbewilligung eingegangen werden soll. Der Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Behörden wird bei Straftaten und Missbräuchen erleichtert. Diese Regelungen sollen einerseits zur Verhinderung von Kriminalität und Missbrauch des Ausländerrechts beitragen, andererseits auch zur Glaubwürdigkeit der Aus- länderpolitik.

Bis heute kennt das AIG das duale Zulassungsmodell und somit die Unterscheidung zwischen Personen aus dem inländischen Arbeitsmarkt respektive dem EU/EFTA-Kreis und Personen aus Drittstaaten. Seit dem 1. Juli 2018 werden auch vorläufig aufgenommene Ausländer:innen und Personen mit vorübergehendem Schutz und einer Erwerbsbewilligung zu den inländischen Arbeit- nehmer:innen (Art. 21 AIG). Die jährlichen Kontingente werden durch den Bundesrat festgelegt. Für das Jahr 2021 können daher erneut bis zu 8500 Spezialist:innen, sowie Fachkräfte aus Dritt- staaten rekrutiert werden: 4500 mit einer Aufenthaltsbewilligung B und 4000 mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung L.

Von der Querschnittsaufgabe Integration zum Stufenmodell Integration

«Die Ausländerpolitik des Bundesrates beruht seit 1970 auf drei Hauptpfeilern. Mit Begrenzungsmassnahmen bei Neueinreisen wird ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der schweizerischen und der ausländischen Wohnbevölkerung angestrebt; über die Zulassungspraxis für ausländische Arbeitskräfte sollen die Arbeitsmarktstruktur verbessert und eine möglichst ausgeglichene Beschäftigung verfolgt werden; mit der Festigung der Rechtsstellung im Laufe der Aufenthaltsjahre und mit weiteren Förderungsmassnahmen soll schliesslich die gesellschaftliche Integration der Ausländerinnen und Ausländer gefördert werden. Nach Artikel 16 ANAG haben die Bewilligungsbehörden die geistigen und wirtschaftlichen Interessen sowie den Grad der Überfremdung des Landes zu berücksichtigen. Die Integrationsförderung soll nunmehr als staatspolitische Aufgabe ebenfalls gesetzlich verankert werden.»
Botschaft zur Total­revision des Asyl­gesetzes sowie zur Änderung des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 4. Dezember 1995, BBl 1996 II 1, S.33.

Nach Inkrafttreten am 1. Januar 2008 folgte kurze Zeit später, 2011, eine Teilrevision des AuG mit dem Schwerpunkt auf der Weiterentwicklung der Integrationspolitik. Bereits einige Jahre zuvor, 2008, lancierte die TAK, die politische Plattform von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Ebenen und zwischen urbanen und ländlichen Räumen, einen Prozess zur Weiterentwicklung der schweizerischen Integrationspolitik(Die Idee von) Integration respektive die Integrationspolitik in der Schweiz entwickelte sich spät. Das ANAG regelte erstmals 1999 die Zuständigkeiten des Bundes im Integrationsbereich. Es wurde die Möglichkeit geschaffen, dass der Bund finanzielle Beiträge für die soziale Integration von Ausländer:innen ausrichten konnte.

Schliesslich veröffentlichte der Bundesrat 2010 einen Bericht zur Weiterentwicklung der Integrationspolitik des Bundes, der festhielt, dass der Gedanke der Integration als Querschnittsaufgabe stärker verankert und die spezifische Integrationsförderung weiterentwickelt werden soll. Gestützt auf diesen Bericht erarbeitete der Bundesrat eine Teilrevision des Ausländer:innen-Gesetzes.

«Ziel einer erfolgreichen Integrationspolitik ist die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung. Dabei ist die Chancengleichheit zu verwirklichen. Die Potenziale der Wohnbevölkerung sind unter Berücksichtigung von deren Vielfalt zu nutzen. Die Eigenverantwortung der Ausländerinnen und Ausländer bei der Integration ist einzufordern.»
Botschaft zur Änderung des Ausländergesetzes (Integration), BBl 2013 2397, S. 2398

Die parlamentarischen Debatten begannen 2013, wobei das politische Geschäft nach der Annahme der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» am 9. Februar 2014 zurück an den Bundesrat überwiesen wurde. Art. 121a Absatz 3 BV hält nun zum ersten Mal fest, dass unter anderem die Integrationsfähigkeit einer ausländischen Person ein massgebendes Kriterium für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ist.

Der Bundesrat präsentierte am 4. März 2016 zwei Vorlagen, einerseits eine Zusatzbotschaft zur Änderung des Ausländergesetzes (Integration) und andererseits eine Botschaft zur Änderung des Ausländergesetzes (Steuerung der Zuwanderung und Vollzugsverbesserungen bei den Freizügig- keitsabkommen). Die Bundesversammlung nahm das teilrevidierte AuG respektive neu betitelt als Ausländer:innen- und Integrationsgesetz im Dezember 2016 an. Ein Referendum wurde nicht ergriffen. Das Ausländer:innen- und Integrationsgesetz (AIG) trat am 1. Januar 2019 in Kraft.

Durch das AIG fand nun eine deutliche Verrechtlichung der «Integration» statt. So wurde unter anderem das Stufenmodell Integration verankert. Das Stufenmodell Integration geht davon aus, dass «die Anforderungen an die Integration umso höher zu setzen [sind], je mehr Rechte mit dem angestrebten Rechtsstatus verliehen werden». Der Aufenthaltsstatus ist somit mit der «Integration» verknüpft.

Die Umsetzung des Stufenmodells basiert auf den Schlagwörtern der Schweizer Integrationspolitik: Fördern und Fordern. Das AIG führt in Kapitel 8 Integration im ersten Abschnitt die Integrations- förderung und in einem zweiten Abschnitt die Integrationserfordernisse auf.

Die Integrationsförderung hält die Grundsätze, die Zielgruppen und die Integrationsförderung in den Regelstrukturen fest. Die spezifische Integrationsförderung ergänzt dabei die Integrations- förderung in den Regelstrukturen, wenn diese nicht zugänglich oder Lücken vorhanden sind. Schliesslich werden auch Massnahmen für Personen mit besonderem Integrationsbedarf, die Aufgabenteilung und die Information und Beratung sowie die finanziellen Beiträge im Bereich der Integrationsförderung festgehalten. Die Integrationserfordernisse beinhalten einerseits die Integrationskriterien (Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Respektierung der Werte der Bundesverfassung, Sprachkompetenzen und die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb und Bildung) und andererseits die Integrationsvereinbarungen und die Integrations- empfehlungen.

Das komplexe Zusammenspiel zwischen Fördern und Fordern im Stufenmodell Integration soll die Integrationsleistungen von ausländischen Personen fördern und gleichzeitig diese Integrations- leistungen «anerkennen». Diese Anerkennung zeichnet sich dadurch aus, dass der Aufenthalts- status einer ausländischen Person «stabilisiert» respektive «verbessert» wird. Die Verbesserung bezieht sich hier auf den Erhalt von mehr Rechten, die mit einem «besseren» Aufenthaltsstatus verbunden sind. Die zuständigen Behörden berücksichtigen dabei bei der Ermessensausübung im Rahmen der Verlängerung / des Widerrufs / des Entzugs von Aufenthaltsbewilligungen die öffentlichen Interessen und die persönlichen Verhältnisse und die Integration einer ausländischen Person (Art. 96 AIG). Schliesslich erteilen die zuständigen Behörden Auskünfte und gewähren auf Verlangen Einsicht in amtliche Akten respektive sind zur Bekanntgabe von Daten verpflichtet, so etwa bei der Eröffnung von Strafurteilen, dem Bezug von Sozialhilfe, Arbeitslosenentschädigung oder Ergänzungsleistungen usw. (Art. 97 AIG). Diese Meldepflichten dienen zur Erkennung eines ungünstigen Verlaufs des Integrationsprozesses.

Anstieg der Asylgesuche und bis heute zahlreiche Teilrevisionen des Asylgesetzes

Parallel zu den Veränderungen im Bereich der Arbeitsmarktmigration in den 1980er und 1990er Jahren, stieg die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz.

«Die Schweiz gilt als eines der klassischen Asylländer Europas. Ihre Lage in der Mitte des Kontinents, in der Grenzlinie zwischen der germanischen und romanischen Welt, ihr Charakter als Gebirgsgegend, die abseits der grossen politischen Kraftlinien liegt, ihre landschaftliche, sprachliche, wirtschaftliche und politische Gliederung, ferner die Bereitschaft zur Toleranz und das Verständnis für die Angehörigen von Minderheiten, machten sie schon frühzeitig zur Zufluchtsstätte für Flüchtlinge aus allen Ländern.»
Botschaft zum Asyl­gesetz und zu einem Bundesbeschluss betreffend den Rück­zug des Vorbehaltes zu Artikel 24 des Übereinkommens über die Rechtsstel­lung der Flüchtlinge vom 31. August 1977, BBl 1977 III 105, S.107

Die Entwicklung des Asylgesetzes in der Schweiz ist geprägt durch zahlreiche Asylgesetz(teil)revisionen. Das erste Schweizer Asylgesetz trat am 1. Januar 1981 in Kraft. Es legte die Asylgewährung für Personen fest, die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, sozialer Stellung oder politischer Anschauung verfolgt werden. Kurze Zeit später erfolgte bereits eine erste Teilrevision.

1984 trat das revidierte Asylgesetz in Kraft, das unter anderem den Verzicht auf eine persönliche Befragung, wenn ein Asylgesuch offensichtlich unbegründet ist, sowie die Möglichkeit für die Kantone ein Arbeitsverbot für Asylsuchende auszusprechen, enthielten. Die weiteren Teilrevisionen von 1986 und 1987 ermöglichten es beispielsweise den Kantonen, ein dreimonatiges Arbeitsverbot für Asylsuchende auszusprechen, die Ausschaffungshaft auf 30 Tage anzusetzen sowie die Einführung von Rückkehrhilfe.

Mit den weiteren Teilrevisionen wurden 1990 unter anderem das Bundesamt für Flüchtlinge geschaffen (2003 umbenannt in Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung, 2005 in Bundesamt für Migration, seit 2015: Staatssekretariat für Migration), sowie 1994 und 1995 die Abgeltungspauschalen an die Fürsorgeleistungen der Kantone für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene und die Möglichkeit der Verlängerung der Ausschaffungshaft sowie die Durchsuchung von Asylsuchenden in Empfangsstellen oder Kollektivunterkünften eingeführt.

1999 erfolgte die Totalrevision des Asylgesetzes. Das Referendum gegen das totalrevidierte Asyl- gesetz ergriffen Flüchtlingshilfswerke mit der Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei und des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Das Asylgesetz wurde von 71% der stimmberechtigten Personen in der Schweiz angenommen und trat am 1. Oktober 1999 in Kraft. Die wichtigsten Neuerungen sind unter anderem die vereinfachte Aufnahme von Schutzbedürftigen, die wirksame Bekämpfung von Missbrauch, die pauschale Abgeltung von Fürsorgeleistungen an die Kantone, die gesetzliche Grundlage für die Bearbeitung von Personendaten und die Teilfinanzierung von Rückkehrberatungsstellen und weiterer Projekte. Weitere Teilrevisionen zwischen 2003 und 2016 bewirkten unter anderem eine Kürzung der Geldleistungen an Asylsuchende mit einem Nicht- eintretensentscheid und der Beschwerdefristen und den Ausschluss von der Sozialhilfe von Perso- nen mit einem negativen Asylentscheid und einer Wegweisung. Ebenso ist das sog. Botschaftsasyl abgeschafft worden und Deserteur:innen und Wehrdienstverweigerer:innen sind aus der An- erkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen. Gleichzeitig erfolgten die gesetzlichen Änderungen zur Neustrukturierung des Asylbereiches, insbesondere der Neustrukturierung des Asylverfahrens, welches seit dem 1. März 2019 umgesetzt wird.

«Aber es ist wichtig, denn sachliche Diskussionen gerade in diesem Thema helfen uns, dass wir uns immer bewusst bleiben, worum es im Asylwesen wirklich geht – nämlich um Menschen. Auch wenn nicht alle Asylsuchenden unseren Schutz im Sinne des Asylstatus brauchen, so haben doch alle Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren.»
Statement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga anlässlich der Volks­abstimmung vom 9. Juni 2013, Dring­liche Änderungen des Asylgesetzes

Die Zuständigkeit für das aktuelle Asylverfahren liegt beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Jede Äusserung (mündlich wie schriftlich) einer ausländischen Person, mit der sie zu erkennen gibt, dass sie um Schutz in der Schweiz ersucht, gilt als Asylgesuch. Das Asylgesuch ist die Voraus- setzung für ein Asylverfahren und kann in einem der Bundesasylzentren (BAZ), an einer Schweizer Grenzkontrolle oder bei der Grenzkontrolle eines Schweizer Flughafens gestellt werden.

Seit dem 1. März 2019 werden verschiedene Phasen im Asylverfahren unterschieden: Empfang und VorbereitungsphaseDublin-Verfahrenbeschleunigtes Verfahren, erweitertes Verfahren und Voll- zugsphase. Im Rahmen der Empfang- und Vorbereitungsphase werden Asylsuchende, nach Ein- reichung ihres Gesuches, einem Bundesasylzentrum mit Verfahrensfunktion zugewiesen. Innerhalb von drei Wochen werden unter anderem die Personalien der geflüchteten Person aufgenommen, die Fingerabdrücke abgenommen und mit der europäischen Datenbank Eurodac abgeglichen. Zudem erfolgt eine Befragung zum Reiseweg und die Abklärung des Gesundheitszustandes. Die verschiedenen Abklärungen ermöglichen zuerst die Prüfung der Zuständigkeit des Asylgesuches. Stellt die Schweiz fest, dass die geflüchtete Person bereits in einem anderen Dublin-Staat um Schutz ersucht hat, fragt sie den entsprechend zuständigen Dublin-Staat um Übernahme des Asyl- verfahrens (sog. Dublin-Verfahren) an. Das nationale Asylverfahren wird eingeleitet, wenn kein anderer Staat dafür zuständig ist.

Das nationale Asylverfahren sieht – rudimentär erläutert – folgenden Ablauf vor: Die Anhörung zu den Asylgründen der geflüchteten Person erfolgt nach Abschluss der Vorbereitungsphase. Kann das Asylgesuch nach der ersten Anhörung zu den Asylgründen abschliessend beurteilt werden, wird ein erstinstanzlicher Entscheid innert 8 Arbeitstagen direkt im Bundesasylzentrum gefällt (beschleunigtes Verfahren). Sind nach der Anhörung zu den Asylgründen weitere Abklärungen anzeigt, wird ein erweitertes Asylverfahren durchgeführt, welches nach höchstens einem Jahr mit einem erstinstanzlichen Entscheid abgeschlossen wird. Die geflüchtete Person wird dann einem Kanton zugewiesen (kantonale Unterbringung). Wenn das Asylgesuch abgelehnt wird und eine Wegweisung erfolgt, führt das SEM ein Ausreisegespräch durch. Der Vollzug der Ausweisung erfolgt durch den Standortkanton.

Die Neustrukturierung des Asylverfahrens beinhaltet ebenfalls eine unentgeltliche Rechtsberatung respektive -vertretung. Während der Vorbereitungsphase und dem beschleunigten Verfahren steht den geflüchteten Personen eine unentgeltliche Beratung respektive Rechtsvertretung zur Verfügung. Im Rahmen des erweiterten Verfahrens besteht die Möglichkeit, bei «entscheidrelevanten» Verfahrensschritten eine dafür bezeichnete Rechtsberatungsstelle im entsprechenden Kanton zu kontaktieren. Nur in Ausnahmefällen ist die Rechtsvertretung des Bundesasylzentrums zuständig.

Im Jahr 2020 wurden 11’041 Asylgesuche in der Schweiz gestellt. Der tiefste Wert seit 2007 mit damals 10’844 Asylgesuchen.

Bürgerrechtsrevisionen: Die Einbürgerung als letzter Schritt einer gelungenen Integration

1952 trat das Gesetz über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts in Kraft. Dieses Gesetz legte drei Einbürgerungsarten fest: die ordentliche Einbürgerung, die erleichterte Einbürgerung und die Wiedereinbürgerung. Die ordentliche Einbürgerung verlangt eine Wohnsitzfrist von mindestens 12 Jahren (davon drei Jahre in den letzten fünf Jahren vor Einreichung des Gesuchs) und die Dauer zwischen dem Alter von zehn bis zwanzig Jahren wird doppelt gezählt. Ausländische Personen, die ein Einbürgerungsgesuch stellen, müssen sich einem Eignungstest stellen. Sie müssen beweisen, dass sie sich an die schweizerischen Gepflogenheiten angepasst haben und sie sich für die Schweizer Staatsbürgerschaft eignen. Diese Eignungstests werden auf Gemeindeebene umgesetzt, auch wenn im ordentlichen Einbürgerungsverfahren alle drei Staatsebenen – Bund, Kantone, Gemeinden – involviert sind. Das Verfahren der erleichterten Einbürgerung betrifft Kinder von Schweizerinnen, die ihr Bürgerrecht bei der Heirat verloren haben. Die Wiedereinbürgerung betrifft Frauen, verheiratet mit einem ausländischen Mann, die ihr Schweizer Bürgerrecht verloren haben. Ausländische Frauen, die einen Schweizer Mann heirateten, erhielten bis Ende 1991 automatisch mit der Heirat das Schweizer Bürgerrecht.

Die automatische Erteilung der Schweizer Staatsbürgerschaft an ausländische Frauen bei der Heirat mit einem Schweizer Mann ist im Nachgang der Annahme des sog. Gleichstellungsartikels in der Schweizer Bundesverfassung abgeschafft worden (Abstimmung vom 4. Dezember 1983). Hingegen wurde am gleichen Abstimmungstag die Vorlage abgelehnt, welche eine erleichterte Einbürgerung für junge, in der Schweiz aufgewachsene Ausländer:innen, Flüchtlinge und Staatenlose vorsah. Eine nächste Vorlage mit ähnlicher Stossrichtung scheiterte ebenfalls in der Abstimmung von 1994.

2004 werden erneut zwei Vorlagen abgelehnt, die einerseits eine erleichterte Einbürgerung von Jugendlichen der zweiten Generation und andererseits den Erwerb des Schweizer Bürgerrechts für Kinder der dritten Ausländergeneration mit der Geburt, sofern die Eltern keine gegenteilige Erklärung abgeben, vorsahen. Die Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen», verlangte, dass die Gemeinden selbst festlegen können, welche Instanz über Einbürgerungsgesuche entscheidet und dass diese Entscheide endgültig sein sollen und nicht angefochten werden können, wurde 2008 abgelehnt. Voraus ging eine hitzige politische Debatte, da zuvor das Bundesgericht im Jahr 2003 (BGE 129 I 217) abgelehnte Einbürgerungsentscheide der Gemeinde Emmen als willkürlich und damit als ungültig erklärt hatte. Die Stimmbürger:innen der Gemeinde Emmen entschieden in geheimer Abstimmung über 23 Einbürgerungsgesuche, wobei 15 abgelehnt wurden. Augenfällig war, dass alle Gesuche von Personen aus Südosteuropa abgelehnt, während italienische Staatsangehörige eingebürgert wurden.

Es folgten weitere Entscheide des Bundesgerichts hinsichtlich des Einbürgerungsverfahrens und Diskriminierungsverbots. Exemplarisch zu erwähnen ist, dass die Verweigerung der Einbürgerung aufgrund des Kopftuchtragens diskriminierend ist (BGE 134 I 49), wenn jedoch zusätzlich legitime Gründe bestehen, wie beispielsweise mangelnde Sprachkenntnisse, eine Diskriminierung verneint wird (BGE 134 I 56). Die Nichteinbürgerung einer sozialhilfeabhängigen Person mit Beeinträchtigung ist als indirekte Diskriminierung zu bewerten (BGE 135 I 49), dagegen die Nichteinbürgerung wegen Sozialhilfeabhängigkeit von jungen Personen in Ausbildung nicht (BGE 136 I 309).

Der Bundesrat veröffentlichte 2011 die Botschaft zur Totalrevision des Bürgerrechts in der Schweiz. 2014 hiess das Parlament das Gesetz gut; ein Referendum wurde nicht ergriffen. Kurz vor Inkrafttreten des totalrevidierten Bürgerrechtsgesetzes ist 2017 die Vorlage der erleichterten Einbürgerung für die dritte Ausländergeneration angenommen worden.

«Wer sich besonders bemüht, kann mit dem neuen Bürgerrechtsgesetz also belohnt werden. Alle anderen werden sich weiter bemühen müssen, bis sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.»
Bundesrätin Simonetta Sommaruga anlässlich der Verabschiedung der Botschaft zur Total­ revision des Bürger­ rechtsgesetzes, März 2011

Das seit dem 1. Januar 2018 in Kraft getretene Bundesgesetz über das Schweizer Bürgerrecht (BüG) geht vom Grundsatz aus, «dass das Bürgerrecht als letzter Integrationsschritt die höchsten Anforderungen an die Integration stellen darf». Ergänzt wird das BüG neu durch eine Verordnung über das Schweizer Bürgerrecht (BüV).

Analog den Integrationskriterien im AIG, enthält auch das BüG Integrationskriterien, welche im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens durch die jeweilige zuständige Behörde zu prüfen sind. Die Integrationskriterien sind die folgenden: Beachten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Respektierung der Werte der Bundesverfassung, der Fähigkeit, sich im Alltag in Wort und Schrift in einer Landessprache zu verständigen, in der Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung und in der Förderung und Unterstützung der Integration der Ehefrau oder des Ehemannes, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners oder der minderjährigen Kinder, über welche die elterliche Sorge ausgeübt wird (Art. 12 BüG).

Schliesslich unterscheidet das Bürgerrecht nach wie vor drei Verfahren: das ordentliche und das erleichterte Einbürgerungsverfahren sowie die Wiedereinbürgerung (nachfolgend nicht vertieft).

Im ordentlichen Einbürgerungsverfahren liegen die Zuständigkeiten beim Bund, den Kantonen und den Gemeinden. Ausländische Staatsangehörige, die seit 10 Jahren in der Schweiz wohnhaft und im Besitze einer Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) sind, können ein Einbürgerungsgesuch stellen. Die in der Schweiz verbrachten Lebensjahre zwischen dem 8. und 18. Altersjahr zählen doppelt (Ausnahmen möglich). Die Kantone können eine zusätzliche Mindestaufenthaltsdauer zwischen zwei und fünf Jahren und weitere Integrationskriterien vorsehen. Das kantonale Recht regelt das Einbürgerungsverfahren in den Kantonen und in den Gemeinde.

Das erleichterte Einbürgerungsverfahren (Zuständigkeit: Bund) richtet sich an ausländische Per- sonen, die mit einem Schweizer Mann respektive einer Schweizer Frau verheiratet sind. Im Unter- schied zum ordentlichen Einbürgerungsverfahren, muss die gesuchstellende Person nicht eine Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) besitzen (sondern einen Aufenthalt geltend machen können). Jedoch muss die Person integriert sein und die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Schweiz nicht gefährden sowie Grundkenntnisse über die Schweiz in Geografie, Geschichte, Politik und Gesellschaft haben und Kontakte zu Schweizerinnen und Schweizern pflegen. Sie muss sich während insgesamt fünf Jahren in der Schweiz aufgehalten haben, wovon ein Jahr unmittelbar vor der Einreichung des Einbürgerungsgesuchs. Schliesslich muss die Person seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit einer Schweizerin oder einem Schweizer sein. Ausländische Personen, welche mit einer Schweizerin oder einem Schweizer in einer eingetragenen Partnerschaft leben, unter- stehen dem ordentlichen Einbürgerungsverfahren. Durch die Annahme der Vorlage «Ehe für alle», über welche am 26. September 2021 abgestimmt wird, könnte sich dies ändern.

Das erleichterte Einbürgerungsverfahren richtet sich auch an die dritte Ausländergeneration, also junge Ausländer:innen, deren Grosseltern bereits in die Schweiz eingereist sind, sowie weitere Bedingungen erfüllt sind. Das Einbürgerungsgesuch muss vor dem 25. Geburtstag eingereicht werden, dies hängt mit der Wehrpflicht respektive der Absolvierung der Rekrutenschule für Schweizer Männer zusammen.

Kurze kritische Würdigung – oder die Notwendigkeit einer Neuorientierung im Migrationsrecht

Die Entwicklung der migrationsrechtlichen Grundlagen verdeutlicht die Komplexität der Aufenthalts- und Zuwanderungssteuerung in der Schweiz. Rückblickend gab es (wenige) Gesetzesrevisionen, die (zumindest) versucht haben, die Teilhabe und Teilnahme von Menschen ohne Schweizer Pass sowie die entsprechenden rechtlichen Aufenthaltstitel anerkennend (aus)zugestalten. Stand heute gehen die migrationsrechtlichen Grundlagen davon aus, dass ausländische Personen (auch wenn diese in der Schweiz geboren sind) eine «Integrationsleistung» beweisen müssen. Die Erreichung der «Integrationsleistung», nun durch Integrationskriterien sowohl im AIG als auch im BüG festgehalten, wird durch Integrationsinstrumente und Integrationsprojekte unter- stützt und durch die zuständigen Behörden «geprüft». Diese migrations-integrationsrechtliche Logik legitimiert eine (sich wiederholende) staatliche Kontrolle von Menschen ohne Schweizer Pass.

Die Anerkennung migrantischer Vielfalt bedingt eine demokratische Neugestaltung von Zugehörig- keit und Teilhabe. Dies betrifft neben der sozialen, politischen, ökonomischen und symbolischen Ebene, auch die rechtliche Ebene. Die demokratische Ausgestaltung in der Schweiz und die damit verbundenen Gesetzgebungsprozesse – dazu zählt auch das Migrationsrecht – sind also entsprechend gefordert, eine Neuorientierung vorzunehmen und die Anerkennung einer Migrationsgesellschaft Schweiz zu verwirklichen.