EU-Migrationspakt – Einsperren und Abschieben funktioniert nicht

Der im Dezember 2023 erzielte Migrationspakt der EU soll den Streit zwischen den Mitgliedsländern beenden. Dabei werden Migrantinnen und Migranten weiter mit der desaströsen Politik entrechtet, die in Griechenland zu Moria geführt hat. Und die Schweiz?

Die Verhandler*innen des Europäischen Parlaments und der EU-Mitgliedstaaten haben sich auf Gesetztestexte zum Asylrecht geeinigt, wie die EU-Kommission im Dezember bekannt gab. 

Dabei wird das Asylrecht intensiv verschärft. Etwa werden die Grenzverfahren an den EU-Aussengrenzen vereinheitlicht. Menschen aus Ländern, aus denen nur wenige Asylgesuche gutgeheissen werden, sollen beispielsweise in Auffanglagern an der Aussengrenze auf ihren Asylentscheid warten. Diese Art der Unterbringung kommt Gefängnissen gleich. Bei diesem Vorhaben hört man das Echo des Feuers von Moria und sieht sich wieder konfrontiert mit der bereits gescheiterten und menschenunwürdigen Politik der Europäischen Union im Migrationsbereich.  

Keine Verteilungssolidarität – kein Effekt

Im Migrationspakt gibt es keine verpflichtende Verteilung von Migrantinnen und Migranten auf alle europäischen Staaten – will ein Land keine Asylsuchenden aufnehmen, kann es stattdessen eine Geldzahlung tätigen. Die Reform regelt nicht effektiv, was mit den Menschen geschieht, deren Asylgesuch abgelehnt wurde: Für eine Abschiebung braucht es funktionierende Abkommen mit den Herkunfts- oder Transitstaaten der Asylsuchenden. Dafür sollen die Mitgliederstaaten jeweils ihre diplomatischen Beziehungen einsetzen, was bis jetzt keine nennenswerten Erfolge zeitigte. Somit ist auch kaum zu erwarten, dass der von der EU gewünschte Effekt dieses neuen Migrationspakts eintritt. Und währenddessen könnten die Migrant*innen über lange Zeit in den Lagern festsitzen.

Kann diese Migrationspolitik überhaupt einen Effekt haben? Würde das Budget für Lager und Grenzüberwachung stattdessen für Integration und Perspektiven eingesetzt, könnte ein guter Nutzen für alle erzielt werden – erst recht in Zeiten von Fachkräftemangel und Überalterung. Würde eine europäische Verteilpolitik umgesetzt, könnten davon auch alle profitieren. Aber anhand der Verschärfungen zeigt dieser Migrationspakt, eine sinnvolle Richtungsänderung ist nicht gewollt. Nicht nur bleibt die grösste Last an den südeuropäischen Ländern hängen. Die Überforderung dieser Länder führt auch zu noch mehr Leid derjenigen, die ein besseres Leben oder einfach Schutz suchen. 

Das Leid ist gewollt – zur Abschreckung

Die deutlich schlechtere Behandlung der Asylsuchenden ist im EU-Migrationspakt beabsichtigt – sie soll abschreckende Wirkung entfalten. Die Einsicht, dass diese Methode bis jetzt immer gescheitert ist, hat dabei keinen Eingang in das Resultat des Migrationspakts gefunden. Stattdessen tun sich nur weitere Abgründe auf.

Die abgründige Migrationspolitik kann nicht guten Gewissens akzeptiert werden: Die Politik wird durch populistische Hetzer, durch Hass und Angst vorangetrieben. Sie sieht sich nicht zu einem Handeln veranlasst, das dem Schicksal der Menschen in den Lagern und an den Grenzen entspricht. Dem Schicksal jener Menschen, die bei gefährlichen Überquerungen ihr Leben riskieren oder gar verlieren. Als Nicht-Regierungsorganisation im Migrationsbereich und als Teil der Zivilgesellschaft setzen wir uns weiter dafür ein, dass die Menschenrechte von Geflüchteten eingehalten werden und diese Menschen Chancen erhalten, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Und die Schweiz?

Gerade die Schweiz muss hier den besseren Weg einschlagen, da die Ressourcen für eine gelungene Migrationspolitik eigentlich zur Verfügung stehen. Leider fehlt der politische Wille dazu.

Die Schweiz hat neben Ungarn eine der schärfsten Ausländergesetzgebungen Europas. Sie zeigt mit ihrer Gesetzgebung in den Bereichen Asylgesetz, Ausländer- und Integrationsgesetz AIG (Drittstaatsangehörige), Sonderbestimmungen bezüglich Personenfreizügigkeitsvereinbarung mit der EU und dem einschnürenden Bürgerrechtsgesetz, dass sie eine ähnliche Grundhaltung vertritt wie der EU-Pakt. Auch in der Schweiz werden Flüchtlinge mit negativen Asylentscheiden in Rückkehrzentren untergebracht. Sie leben mit dem absoluten Existenzminimum, das die sogenannnte Nothilfe erlaubt.  Mit dem AIG sind die Integrationskriterien, die Migrant*innen erfüllen müssen, deutlich strenger formuliert. Das AIG sieht Ausschaffungen für Drittstaatsangehörige vor und die Ausschaffungspraxis zeigt, dass dieses Instrument vermehrt angewendet wird.  

Wiederholt wurde die Schweiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deswegen ermahnt. Mit ihrer finanziellen Unterstützung von Frontex, der europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache, macht sich die Schweiz an der verfehlten europäischen Migrationspolitik mitschuldig und wird die Umsetzung des EU-Pakts mitfinanzieren. Es ist zu befürchten, dass die migrationspolitischen Verschärfungen in der EU auch in der Schweiz zu weiteren Verschärfungen der Asyl- und Migrationspraxis führen könnten. Zumindest wird es für rechte Parteien Möglichkeiten eröffnen, in diesem speziellen Thema für einmal fremdes Recht zu übernehmen.

Die Politik muss einsehen, dass die Schweiz es sich nicht leisten kann, das Potenzial der Zuwanderung von Menschen einfach nicht zu nutzen. Die Wirtschaft profitiert nicht nur von der Migration – sie braucht sie auch. Die Schweiz unterstützt stattdessen die rohe Gewalt der Migrationsabkommen und trägt so nur zu einer Isolation bei. Diese schadet nicht nur der Wirtschaft, sie schadet insbesondere den Menschen und den Werten, die die schweizerische Gesellschaft tragen.

Es braucht eine Kehrtwende. Will die Schweiz gegen aussen wie gegen innen ihre Stellung als Stimme der Moral und Vernunft behaupten, kann sie so nicht weiter machen. Und sie kann sich nicht hinter der EU verstecken. Stattdessen muss sie sich wieder an den Grundwerten der Menschenrechte orientieren.